Kapitel 1: Das verlorene Erbe von Atlantis

Die Hand des Hohenpriesters glitt über die in den Basaltsockel gemeißelten Symbole. Unter seiner Berührung erwachte der Stein zum Leben. Die Quarzadern entflammten sich in einem bläulichen Schimmer, enthüllten Himmelskarten, Sternenausrichtungen, Zyklen, die in den Fels gemeißelt waren wie die geheimen Schläge der Zeit.

Im Saal des Erwachens, in das Herz des heiligen Berges gehauen, trug jede Wand den Abdruck eines uralten Wissens. Dort formten die Priester der Schule von Naacal, geführt von Chiquitet Arelis Vomalites, die Geister mit der Geduld des Windes, der die Gipfel formt.

Aus der geduldigen Beobachtung der Sterne war eine Wissenschaft der kosmischen Zyklen entstanden — ein Wissen, das im Laufe der Generationen gelernt hatte, den Atem der Sterne wie einen Puls zu lesen. Diese Wissenschaft besaß ein eigenes Leben: Sie atmete, bewegte sich und trug zur Harmonie der Welt bei. Jede Formel, jedes Symbol, jede Ausrichtung vibrierte wie ein Nerv in einem kosmischen Organismus.

Die Säulen, nach heilig präzisen Winkeln gehauen, fingen eine subtile Schwingung auf — den Puls der Welt selbst. Darüber verbreiteten die an den Gewölben hängenden Kristalllampen ein rhythmisches Licht, als würden sie im gleichen Atemzug mit der Erde atmen.

Unter diesen Basaltgewölben klang ein vibrierendes Gedächtnis, eine vergessene Technologie, deren Fundamente auf der geheimen Einheit zwischen Materie und Geist beruhten.

Dann zerriss der Himmel.

Ein Grollen stieg aus den Eingeweiden der Erde, tief wie der Atem der Welt. Die Kristalllampen begannen zu schwanken und warfen tanzende Schatten, als würden die Wände selbst versuchen zu fliehen. Dann kam der Wind — ein wilder, entfesselter Wind, der die Steine von den Dächern riss wie welke Blätter.

Die Ältesten, die die Zyklen der großen Rückkehr aufgezeichnet hatten, hoben ihre Blicke zu den Sternbildern. Ihr Blick verriet weder Angst noch Überraschung. Sie wussten.

Denn dies war nicht das erste Mal.

Die großen Katastrophen kehren in regelmäßigen Abständen zurück, wie die Gezeiten der kosmischen Zeit. Jede Ära trägt in sich die Keime ihres Endes, und jeder Sturz enthält das Versprechen eines Neubeginns. Ihre Archive sprachen von einer Welt, die vor ihnen versunken war, von einer noch älteren und von einer vor dieser. Die ganze Erde war bereits bedeckt, umgestaltet und vergessen worden.

Und jetzt schloss sich der Zyklus.

Das Meer erhob sich.

Es war keine Welle, sondern eine Wasserwand, so hoch wie zehn Berge, die die Mole, die Tempel, die unteren Viertel in einem ohrenbetäubenden Brüllen verschlang. Die Granitdämme, die gebaut wurden, um den schlimmsten Stürmen zu widerstehen, zerfielen wie Sand. Die stolzesten Türme bogen sich und brachen dann, ihre riesigen Blöcke wurden zu Kieseln im Maul des Ozeans.

Draußen war es das Ende einer Welt. Die Schiffe flogen wie Zweige, bevor sie gegen die Klippen zerschellten. Die hundertjährigen Bäume, entwurzelt, wirbelten in Wirbeln aus Schaum. Das Wasser stieg, stieg immer höher und verschlang die letzten Hügel, auf denen sich ganze Familien geflüchtet hatten. Ihre Schreie verloren sich im Heulen des Windes.

Doch im Herzen des Chaos widerstanden die Archen.

Nach einer heiligen Geometrie entworfen, lenkten sie die Wut der Wellen wie ein Felsen den Strom ab. Ihre abgerundete Form absorbierte die Stöße, ihre innere Struktur leitete die tellurischen Kräfte. Diese Zufluchtsorte sind energetische Matrizen, Überlebenskapseln, die für die Durchquerung der Jahrhunderte entworfen wurden, um ihr Gedächtnis zu tragen.

Im Ratssaal knackten die Karten aus schwarzem Marmor. Chiquitet Arelis Vomalites hob die Augen zur Gewölbedecke, wo Tropfen zwischen den Steinfugen zu perlen begannen. Ein junger Schüler zitterte, bis sich eine feste Hand auf seine Schulter legte.

„Schau“, flüsterte der alte Meister.

„Und erinnere dich.“